
Stena Line 1966
Im Jahr 1966 soll die Expansion der Stena Line weiter vorangetrieben werden. Als sich der Bau der neuen Deutschland-Fähre verzögert, wird 1966 stattdessen zu einem Jahr der Konsolidierung der bis dato erzielten Erfolge und Ergebnisse. Aber am Horizont ziehen Wolken in Form von neuen Vorschriften und Reglements auf. 1967 tritt eine 24-Stunden-Regel in Kraft, die vorschreibt, dass sich ein Passagier 24 Stunden außer Landes aufgehalten haben muss, um zollfrei gekaufte Waren einführen zu dürfen.
Erfolg für die Stena Danica
Der Autofährenbetrieb nach Frederikshavn ist weiterhin profitabel. Das Passagier- und Transportkonzept der Stena Line, das auf eine Kombination aus Vergnügungsreisenden, Urlaubern und LKWs setzt, geht auf. Volle Restaurants und volle Autodecks machen den Fährbetrieb äußerst lukrativ. Bislang können die Passagiere auch im Rahmen einer Tagestour noch pro Person eine zollfreie Ration Alkohol und Zigaretten erstehen. Und die Reederei freut sich über klingelnde Kassen.
Die STENA DANICA meistert den Konkurrenzkampf mit der Sessanlinjen ohne Schwierigkeiten und die Fähre ist bei den Göteborgern genauso beliebt wie die früheren Passagierschiffe. Auch der Konkurrenzbetrieb der Reederei Lion Ferry auf der Strecke nach Grenå bereitet keine nennenswerten Probleme. In diesem Jahr scheint der Markt für Dänemarkreisen nahezu unerschöpflich zu sein.
Im Frühling wird die STENA DANICA für ein paar Wochen von der neu gebauten kleinen Fähre STENA BALTICA unterstützt. Ursprünglich sollte sie auf der Route Nakskov-Kiel eingesetzt werden, aber die Stena Line trägt sich mit dem Gedanken, den Betrieb auf dieser Strecke einzustellen. Stattdessen nimmt die Fähre ihren Betrieb auf der Route nach Frederikshavn auf. Eine Zeit lang hatte man auch Pläne für eine Linie Göteborg-Skagen erwogen, diese wurden letztendlich jedoch nicht realisiert.
Der Einsatz der STENA BALTICA auf der Strecke nach Frederikshavn sollte jedoch nur von kurzer Dauer sein. Im Juni 1966 wird sie von der Reederei Lion Ferry gechartert, deren VARBERG während einer Inspektion im Schwimmdock der Werft gekentert war. Kurzerhand erhält die STENA BALTICA einen gelben Schornstein mit einem B und nimmt ihren Betrieb auf der Route Grenå-Halmstad-Kopenhagen auf.
Die Charter-Politik der Stena Line ist interessant. Das Schwesternschiff der STENA DANICA – die STENA NORDICA – durchquert als ertragreiche Charter-Fähre für British Rail die Gewässer. Ansonsten hätte sie die Tonnage auf der Frederikshavn-Linie verstärken können. Schon nach ein paar Wochen kann die STENA BALTICA zu einem guten Preis verchartert werden und verlässt ebenfalls die Flotte der Reederei. Noch interessanter ist in diesem Zusammenhang, dass man die Fähre an eine konkurrierende Linie verchartert, genauer gesagt die Linie Halmstad-Grenå.
Diese Geschäfte verweisen auf das komplizierte Verhältnis zwischen der Stena Line und dem Mutterkonzern, welcher der Eigentümer der Schiffe ist. Die Fähren werden dort verchartert und eingesetzt, wo sie die höchsten Einnahmen generieren.
Im Herbst nimmt die STENA BALTICA erneut den Betrieb auf der Strecke nach Frederikshavn auf, die damit ebenso viele Abfahrten aufweisen kann wie die konkurrierende Sessanlinjen. Die Kapazität der STENA DANICA lässt sich durchaus mit den Fähren der Sessanlinjen vergleichen. Die STENA BALTICA hingegen ist viel kleiner und hat weder die gleiche Rentabilität noch Popularität.
Verschobene Premiere für die Deutschland-Fähre
Bereits 1964 hatte Stena den Bau einer Fähre für die Strecke Göteborg-Kiel in Auftrag gegeben. Genau wie die STENA BALTICA sollte das Schiff samt einem Schwesternschiff von Langesunds Mekaniska Verkstad in Norwegen geliefert werden.
Zu diesem Zeitpunkt ist die Aufnahme eines Fährbetriebs nach Westdeutschland an sich keine besonders originelle Idee. Das Land hat sich auf mirakulöse Weise aus den Ruinen des Zweiten Weltkriegs erhoben. Mit seiner demokratischen Führung und seiner modernen Gesellschaft ist Westdeutschland sowohl ein wichtiger Handelspartner als auch ein immer beliebteres Touristenziel.
Die deutsche TT-Line hatte schon 1962 den Fährbetrieb zwischen Trelleborg und Travemünde aufgenommen. Drei Jahre später zogen die ehemaligen schwedischen Staatsbahnen Statens Järnvägar (SJ) nach. 1966 aber explodiert der Fährbetrieb nach Travemünde geradezu: Lion Ferry läuft den westdeutschen Hafen von Halmstad aus an, Trave Line von Helsingborg, und die Schiffe der Finnlines gehen auf ihrem Weg nach Lübeck von Nynäshamn beziehungsweise Karlskrona in Travemünde vor Anker.
Während die anderen Betreiber westdeutscher Fährverbindungen ihren Fokus auf den LKW-Transport legen, setzt die Stena Line auf Passagierreisen. Man möchte den Göteborgern, die bereits mehrmals in Frederikshavn gewesen sind, ein neues attraktives Ausflugsziel bieten.
Die Wahl eines deutschen Hafens ist mit Hinblick auf die Kürze der Strecke eine logische Konsequenz. Von Anfang an besteht das ambitionierte Vorhaben, täglich eine doppelte Tour zu absolvieren. Damit wird Kiel zum selbstverständlichen Endpunkt der Linie. Die guten Kontakte, die Stena durch den Fährbetrieb zwischen Nakskov und Kiel beziehungsweise Fåborg und Kiel aufgebaut hat, haben zu diesem Beschluss sicherlich beigetragen.
Für den neuen Betrieb lässt Stena im Skandiahamnen in Göteborg ein neues Terminal bauen. Der Stenpiren hat nicht genügend Kapazität, um eine weitere Fähre aufnehmen zu können. Das neue Terminal kann darüber hinaus ebenfalls von der STENA DANICA angelaufen werden, die dort auf ihrem Weg nach Frederikshavn LKWs an Bord nimmt.
Doch leider kann der Fährbetrieb zwischen Göteborg und Kiel 1966 nicht wie geplant aufgenommen werden. Während des Baus kommt es zu einem Maschinenschaden, der die Anlieferung der neuen Fähre um ein Jahr verzögert. Das große neue Projekt, das die Stena Line 1966 realisieren wollte, muss also verschoben werden.
Ebenso unerwartet setzt Stena den Betrieb auf der Sommer-Strecke Nakskov-Kiel fort, obwohl diese im Vorjahr noch vor einer drohenden Schließung stand. Es ist die alte ISEFJORD, die den Fährbetrieb einleitet. Da sie aber bereits nach Italien verkauft worden ist, wird sie im Verlauf des Sommers von der kleinen gecharterten dänischen Fähre AERÖBOEN abgelöst.
Glück für The Londoner
Auf dem Ärmelkanal geht Stena in die zweite Saison und hat aus der ersten Saison ihre Lehre gezogen. Der britische Agent wird durch eine Verwaltung vor Ort mit Roland Erkenberg an der Spitze ersetzt. Die STENA NORDICA hat man verchartert. An ihrer Stelle wird die von der konkurrierenden Sessanlinjen gecharterte PRINSESSAN CHRISTINA eingesetzt, die von nun an als „The Londoner“ auf dem Ärmelkanal unterwegs ist. Ein erneuter Beweis für das unkonventionelle Vorgehen der Stena Line in Tonnage-Fragen.
Bedingt durch den Seemannsstreik in England beginnt die Reederei die Saison 1966 Anfang April mit einem fulminanten Start. Da die britische Fähren-Flotte ihrer Handlungskraft beraubt ist, ist die PRINSESSAN CHRISTINA bis an ihre Kapazitätsgrenze ausgelastet. Es kommt sogar vor, dass selbst das kleine Deck zwischen Achterluke und Achterrampe mit PKWs beladen werden muss.
Etwas, was die Briten gar nicht mögen, ist allerdings das Beladungssystem der Fähre mit engen Autoaufzügen zum unteren Autodeck. Dieses wird zum großen Ärger der Briten als erstes be- und als letztes entladen. Sie sind an das Prinzip „first on, first off“ gewöhnt.
Die Saison endet am 30. September und wird als großer Erfolg verbucht. Durch den Einsatz eines günstigen Schiffes konnte Stena große Volumen erzielen.
Passagierfahrten
In den ersten Monaten des Jahres 1966 kristallisiert sich heraus, dass die westdeutsche Reederei HADAG die WAPPEN wieder zurückkaufen möchte, um die Fähre erneut im Helgoland-Verkehr des Unternehmens einzusetzen, für den sie ursprünglich gebaut worden war. Die etwas jüngere HELGOLAND Nr. 2 ist langfristig im Auftrag des westdeutschen Roten Kreuzes als Lazarettschiff in Vietnam im Einsatz und muss ersetzt werden.
Die Mariehamn-Route eröffnet die Saison am 6. Mai 1966 mit der POSEIDON, welche die WAPPEN ablöst und unter dem Namen „Jätten Finn“ das vierte, letzte und bekannteste Schiff wird. Sie erweist sich für das Publikum der 1960er-Jahre als ideales Åland-Schiff und sollte noch 7 weitere Saisons konkurrenzkräftig auf dieser Linie verkehren. Als „Jätten Finn“ bietet sie Platz für 582 Passagiere. Eine Tagesfahrt mit Hin- und Rückfahrt kostet 19 SEK, Fahrkarten für eine Überfahrt mit Rückreise an einem beliebigen Tag kosten 25 SEK. Kinder und Rentner zahlen die Hälfte. Allerdings zieht die POSEIDON in erster Linie ein jugendliches Publikum an.
Der Fährbetrieb läuft in der Saison 1966 bis zum 27. November. Im Jahresverlauf wird die Konkurrenz immer stärker. Zum Beispiel arrangiert die Bore Line im Verbund „De Samseglandes” (ein Zusammenschluss der Reedereien Silja Line, Bore Line, FÅA und Svea) Sommerkreuzfahrten mit alten Finnland-Dampfern. Diese finden vor allem bei einem reiferen Publikum Anklang.
Die Expresslinjen, die Teil des Svea-Konzerns ist, zieht im Mai 1966 ihre 30 Jahre alte Fähre MARINA vom Fährbetrieb zwischen Gräddö und Mariehamn ab und setzt sie stattdessen auf der Strecke Stockholm-Mariehamn ein, Zielgruppe ist wie auf der POSEIDON ein junges Publikum, das an Bord vor allem Spaß haben und sich amüsieren möchte. Zwar leitet die MARINA auf der Route einen Preiskrieg ein, im Gegensatz zur modernen POSEIDON mit ihrer exklusiven Einrichtung wird sie aber als eher abgenutzt und nicht sehr ansprechend beurteilt.
Als „Jätten Finn“ geht die POSEIDON letztendlich als Sieger aus dem Konkurrenzkampf hervor und avanciert im Mälartal zum Publikumsliebling. Es war die Geburtsstunde des in Schweden populären Konzepts, das Stena heute noch „Ålandskryss” nennt, Tagesfahrten und Überfahrten auf die Ålandinseln.
Auf der Strecke Trelleborg-Kopenhagen wird die POSEIDON nach der Winterpause von der kleinen AFRODITE abgelöst. Allerdings wird der Fährbetrieb mit Ende der Herbst-Saison eingestellt, da die neuen Einfuhrbestimmungen dem Unternehmen für das kommende Jahr die notwendige ökonomische Unterlage entziehen. Dasselbe gilt für die Sommer-Linie Lysekil-Skagen, die 1966 letztmalig von der SKAGEN II bedient wird.
Darüber hinaus absolviert die AFRODITE im Sommer 1966 ein 8-wöchiges Gastspiel in der Bottensee, wo sie auf der Strecke zwischen Luleå und dem finnischen Kemi ihren Dienst tut. Hierbei handelt es sich jedoch um keine reine Schiffsreise. In die eine Richtung reisen die Passagiere mit dem Schiff, in die andere mit dem Bus. Auf diese Weise erzielt die Reederei auf jeder Fahrt maximale Verkaufszahlen. Aber auch dieser Betrieb wird am Ende des Sommers wieder eingestellt.
Die bevorstehenden neuen Einfuhrregeln vernichten im Prinzip all das, was vier Jahre zuvor die Basis des Reisegeschäfts der Skagenlinjen – mittlerweile Stena Line – ausgemacht hatte. Es muss als Zeichen von Geschick und Flexibilität gewertet werden, dass man es in so hohem Grad geschafft hat, Einkaufsreisen für den Autofährenbetrieb mit einer breiteren und weniger anfälligen Basis zu entwickeln. Der Stein rollt weiter!
Autoren: Anders Bergenek und Rickard Sahlsten